JOHANN RAUSCH
* 1945 Wien
Verfügbare Werke auf Anfrage |
Situation Room hat Johann Rausch seine Ausstellung 2024 in der Galerie Sommer genannt. Ein „Situation Room“ ist eine Art Einsatzzentrale, ein Lagebesprechungsraum, in dem sich die wesentlichen Entscheidungsträger*innen versammeln, um akute Notfälle von internationaler Tragweite zu lösen, Informationen austauschen und Pläne für die wichtigsten Problemfelder der Zukunft zu erstellen. Der Situation Room im Weißen Haus ist beispielsweise rund um die Uhr von eigenen Watch Teams besetzt, die nationale und internationale Geschehnisse beobachten. Der Künstler hat in roter Schrift auf weißen Tafeln nicht nur Situation Rooms für die Ideologie, den Krieg oder die Flucht entworfen, sondern auch für die Menschlichkeit und die Hoffnung, die in unserer Zeit genauso bedroht zu sein scheinen. Dem gegenüber ist mit Gold auf dem gleichen signalhaften Rot der Situation Room für die Liebe markiert worden. Mit Liebe ist aber nicht das unschuldige Verliebtsein, obskure Gefühlswelten aus schnulzigen Liebesfilmen oder einen Euphemismus für Sex gemeint, sondern das philosophische Konzept der Liebe als unabdingbare Grundlage einer zukünftigen Gemeinschaft: von Paulus über Augustinus und Martin Buber bis hin zu Giorgio Agamben und Jean-Luc Nancy.
Die titelgebende Arbeit Situation Room fungiert als Entre für eine Ausstellung, die einen konzisen Einblick in das mehrere Jahrzehnte währende Schaffen des Künstlers gibt. Rausch, der in seinem Brotberuf die Werbelandschaft Österreichs nachhaltig prägte und dessen Bilder, Logos und Slogans Teil des kollektiven Gedächtnisses geworden sind, hat sein Künstlerdasein stets geheim gehalten und seine herausragenden Arbeiten im Verborgenen entwickelt. 2023 hat ihm das BRUSEUM der Neuen Galerie Graz die erste umfassende Einzelausstellung gewidmet, ein Jahr später zeigt die Galerie Sommer nun weitere Aspekte dieses umfangreichen Oeuvres. Rausch hat die Galerie praktisch in seinen Situation Room verwandelt, d.h. er präsentiert Arbeiten, die seine Auseinandersetzung mit Themen aus Kunst, Politik und Gesellschaft zeigen, die ihn seit Jahrzehnten umtreiben. Man könnte überspitzt formulieren, der Situation Room von Rausch ist nicht so sehr sein Atelier, sondern sein Kopf, in dem er kontinuierlich mit sich, der Gesellschaft und den Entwicklungen auf dieser Welt ringt. In jeder Hirnwindung scheint sich ein Situation Room zu finden, für die Malerei, die neuen Medien, die Literatur, den Kapitalismus, den Kunstmarkt, die künstliche Intelligenz usw. usf. Die Ausstellung ist so etwas wie eine Blaupause für die Gedankenwelt des Johann Rausch.
Als humanistisch gebildeter Mensch ist Rausch ein großer Verfechter der Ideen der Aufklärung und hat mit Erschüttern die leichte Manipulierbarkeit der Massen durch Politik, Markt und Medien und die Entwicklung der Menschheit zurück zu einer selbstverschuldeten Unmündigkeit beobachtet. Für seine Reflexionen, Erkenntnisse und kritischen Statements hat er dabei stets nach adäquaten zeitgenössischen Formulierungen gesucht. Herausragend und in der internationalen Kunstgeschichte einzigartig sind hierbei seine Arbeiten mit ausrangierten Röhrenfernsehern. Das Fernsehen war das Leitmedium und die primäre Informationsquelle der Nachkriegszeit und wurde erst im 21. Jahrhundert von den digitalen Medien abgelöst. Es stand von Anfang an unter politischer Einflussnahme und geriet erst ab Mitte der 1980er-Jahre mit der Einführung des Satelliten-TVs und dem Aufkommen kommerzieller Anbieter in kapitalistische Abhängigkeit. Marshall McLuhan schrieb bereits 1964 hellsichtig, dass das Medium die Botschaft ist. Er war der Überzeugung, dass es nicht primär um die Ideen und Ideologien geht, die via Fernsehen transportiert werden, sondern darum, wie das Fernsehen als Medium auf den Menschen wirkt, wie das Medium unsere Wahrnehmung und unser Denken beeinflusst. Die Medien diktieren, was du tun sollst, wie du leben sollst und was du denken sollst. Rausch hat die leeren und gereinigten Bildschirme dem Kreislauf der Entsorgung entrissen und für eine neuartige Hinterglasmalerei benutzt. Er hat eine religiös-volkstümliche Technik approbiert, um den geradezu sakralen Stellenwert des Fernsehens im Alltagsleben zu unterstreichen und dann mit autoritären Imperativen zu verstärken. Mit Marshall McLuhan ließe sich sagen: „Wir formen unsere Werkzeuge, und dann formen die Werkzeuge uns.“
Mit dem Werkblock SHOPPING LIST spitzt Rausch seine Kritik an der Manipulation und dem willfährigen Konsumismus der breiten Massen und der Struktur des Neoliberalismus zu und trägt der Veränderung des Medienverhaltens Rechnung. Jeden Tag zeichnen globale Konzerne unsere Suchanfragen und unseren Browserverlauf als Stichwörter für zielgruppengerechte Marketingstrategien auf. Unsere Verhaltensdaten werden stillschweigend abgeschöpft und auf den neuartigen Prognosemärkten zu Geld gemacht. Seit 2018 entsteht Rauschs Einkaufsliste, die er aus der Perspektive dieses neuen kapitalistischen Empire formuliert hat: WE BUY YOUR BRAIN. Präzise in der Analyse der medialen Verflechtung von digitalen Medien und Neoliberalismus hat er seine Kritik als Internet-Domains formuliert und sich diese Domains in der Konsequenz auch gleich sichern lassen: WIR KAUFEN DEIN HIRN.AT. Die Arbeit auf einer Spiegelfläche steht sinnbildlich für die narzisstische Selbstüberhöhung unserer konsumistischen Selfie-Kultur. Selbstbespiegelung bedeutet jedoch nicht Selbstreflexion. In den letzten Jahren ist die Datengewinnung von der virtuellen auf die reale Welt übergegangen und so werden über Smartphones, Smartwatches und das sogenannte „Internet der Dinge“ nun auch Daten über unseren Blutkreislauf, unsere Schlafgewohnheiten, unser Aktivitätspensum oder den Inhalt unseres Kühlschranks gesammelt. Nichts wird ausgelassen, alles wird aufgezeichnet und vermarktet. We buy your love. We Buy your dreams. We buy your life. Am Ende steht der gläserne Mensch, die totale Transparenz und Elon Musk lächelt dämonisch hinter der Ecke hervor.
Im Zentrum von Rauschs Schaffen steht der Mensch mit all seinen Widersprüchen und Ambivalenzen. Dies kommt besonders eindrücklich in einer seiner frühesten Werkserien zum Ausdruck. Der Künstler hat seine großformatigen Porträts aus der Serie Systemische Menschenbilder auf dem Prinzip des Komplementärkontrasts aufgebaut. Ausgangspunkt jedes Gemäldes war immer ein Gesicht, das mit den hellen Farben Grün und Orange auf der linken Seite und den dunklen Tönen Rot und Blau auf der rechten übermalt wurde. Malschicht um Malschicht hat er über die Menschenbilder gelegt, die er privaten Fotoalben ebenso entnahm wie den Medien. Die Serie, die knapp 100 Arbeiten umfasst, entsteht in den 1980er-Jahren just zu dem Zeitpunkt als in Österreich die Malerei der sogenannten Neuen Wilden aufkommt. Das Wiedererstarken des bereits mehrmals totgesagten Mediums in diesem Jahrzehnt förderte eine Malerei zutage, die in ihrem Stil expressiv und figurativ war und in ihrer Haltung zutiefst subjektiv, unbekümmert und geradezu eskapistisch. Rausch wählt einen anderen Weg und verfolgt seine Malerei mit einem konzeptuellen Ansatz, der seinem skeptischen Blick auf den Menschen Rechnung trägt. Die systemische Konstruktion des Bildes entspricht der systemischen Struktur, in die der Mensch von Geburt an eingespannt ist. Das übermalte und freigekratzte Menschengesicht verharrt im prekären Zustand zwischen Erscheinen und Verschwinden, zwischen Manifestation und Auslöschung.
In seiner umfangreichen Serie PAIN setzt sich Rausch einerseits mit der Geschichte der Malerei und ihren vielfältigen Erscheinungsformen auseinander und anderseits mit dem subjektiven Ringen jedes Malers um Ausdruck und Qualität. Der Künstler hat hierfür Bilder aus seinem Archiv und auf Flohmärkten gefundene Gemälde wiederverwertet. Jedem Gemälde schreibt er mit großen Lettern seine Denomination ins Bild: PAINTING. Durch die Trennung des Wortes in PAIN und TING fällt das Augenmerk jedoch zuerst auf den Schmerz – als Bezeichnung des Offensichtlichen. Ein Landschaftsbild aus dem frühen 20. Jahrhundert, in das die Worte PAIN eingeschrieben sind, wird plötzlich zum Schauplatz eines imaginativen Verbrechens. Die Kombination von Wort und Bild aktiviert die Vorstellungskraft, der Schmerz steigert sozusagen die Imagination. Im Verlauf der Serie hat der Künstler mitunter die Silben verändert bzw. erweitert und so liest man BODY PAIN , NICE PAIN oder PAIN TIME. Die gefundenen Werke werden nicht nur als Gemälde kategorisiert, sondern durch die zahlreichen transparenten Lackschichten, die der Künstler darübergelegt hat, geradezu konserviert. Mit dem Prinzip der Versiegelung und Konservierung stellt er auch die Frage, wer heute darüber urteilt, was als kunstvolles Gemälde zu gelten hat und erhaltungs- und sammlungswürdig ist? Damit sind nicht nur Kunsthistoriker*innen und Museen gemeint, sondern auch Sammler*innen und ganz wesentlich der Markt, die mit der Dominanz des Kapitals hier Fakten schaffen wollen. In einer Reihe von Arbeiten in dem für Rausch typischen Format 40 x 30 cm nimmt der Künstler darauf Bezug, in dem er über die Malerei Zitate legt wie: MY LATEST ACQUISITION, NOW I AM SATISFIED oder GIFT OF THE ARTIST.
Die Inkorporation des Kunstmarkts in das Werk selbst, das Einschreiben seiner Prinzipien in die Malerei hat seinen Vorläufer in der umfangreichen Serie Mastotermes Electrodominicus. Mit Mastotermes Electrodominicus werden vor zig Millionen Jahren in Bernstein eingeschlossene Termiten bezeichnet. Die Begegnung mit diesen fossilen Exponaten im Naturhistorischen Museum Wien hat den Künstler vor Jahrzehnten zu dieser Serie veranlasst. Die natürlichen Einschlüsse von Insekten und anderer Naturalien in Bernstein waren ihm Impuls, Zeugnisse unserer Zeit mit Mitteln der Malerei zu konservieren. Da es den meisten Menschen offenkundig nur ums Geld geht, hat er Banknoten aus unterschiedlichen Ländern mit zahlreichen Schichten changierender Farben auf der Leinwand fixiert. Rausch treibt hier sein Spiel mit dem Wert eines Bildes und dem Kunstmarkt per se, denn der Käufer resp. die Käuferin kauft eigentlich mit Geld anderes Geld, auf das er oder sie jedoch nie zugreifen kann. Das Wechselspiel von Darbietung und Entzug, von Präsenz und Absenz, das er schon in seinen Systemischen Menschenbildern erprobt hat, findet hier einen weiteren subtilen Höhepunkt.